Unsere psychischen Grundbedürfnisse

Unsere psychischen Grundbedürfnisse

Klaus Grawe definierte durch seine Forschung die vier psychischen Grundbedürfnisse: Bindung, Kontrolle, Selbstwert und Lust. Dass viele gar nicht so darüber Bescheid wissen, dass wir psychische Grundbedürfnisse haben zeigt, wie gering der Stellenwert der psychischen Gesundheit in unserer Gesellschaft angesiedelt ist. Ich vermute mal, es gibt keinen Blogartikel darüber, dass wir essen müssen, um satt zu sein, genug schlafen müssen, um uns zu regenerieren oder dass wir atmen müssen, um unserem Körper Sauerstoff zuzuführen. Warum? Weil jedem von uns bewusst ist, dass unser Körper Dinge wie Nahrung, Flüssigkeit, Schlaf, Sauerstoff usw. benötigt. Das liegt auf der Hand, weil unser Körper uns das entsprechend signalisiert: mit einem Grummeln im Magen und einem Hungergefühl, das uns sagt, dass wir etwas essen sollten, oder mit Müdigkeit, wenn wir Schlaf brauchen. Doch auch wenn unsere psychischen Grundbedürfnisse nicht berücksichtigt werden, macht sich das bemerkbar: durch unangenehme Gefühle.

Bei Liebeskummer werden z.B. alle vier Grundbedürfnisse frustriert: Wir verlieren eine wichtige Bindungsperson, haben keine Kontrolle über die Situation, eine mögliche Kränkung ist schädlich für unser Selbstwertgefühl und Lust bzw. Freude bereiten die Situation ganz bestimmt nicht. Doch auch Angst, weil wir das Gefühl haben, dass unser Arbeitsplatz bedroht ist, signalisiert uns, dass unser Bedürfnis nach Kontrolle gerade nicht abgedeckt ist. Wenn wir uns einsam fühlen, unverstanden oder Sehnsucht nach jemandem haben, wünschen wir uns mehr Bindung.

Uns wird also durchaus signalisiert, wenn unsere psychischen Grundbedürfnisse gerade nicht erfüllt werden.

Häufig ist es auch nicht möglich jedes dieser Bedürfnisse gleichermaßen und zu jeder Zeit vollständig zu befriedigen. Macht sich jedoch ein frustriertes Bedürfnis über einen längeren Zeitraum durch negative Gefühle bemerkbar und wird dennoch von uns ignoriert, so ist die Gefahr groß, dass unsere psychische Gesundheit darunter leidet und erste Krankheitssymptome folgen. Das können z.B. Schlafstörungen sein, Panikattacken, depressive Verstimmungen oder auch psychosomatische Beschwerden wie Verdauungsprobleme. Hier wird der ein oder andere vielleicht schon nachdenklich und merkt, dass etwas nicht stimmt, doch viele halten auch dann noch nicht inne sondern machen weiter und hoffen, dass die Probleme von allein wieder aufhören. In manchen Fällen ist es vielleicht auch so, insbesondere dann, wenn die Person weiß WARUM gerade das ein oder andere Bedürfnis nicht erfüllt werden kann und dass dies nur ein vorübergehender Zustand ist (wie z.B. eine Prüfungsphase). Ist aber nicht bekannt, woher die Probleme rühren und halten diese über einen längeren Zeitraum an, so wird spätestens hier der Besuch beim Psychotherapeuten oder Psychiater fällig. Dieser kann im Rahmen einer Psychotherapie bei der Suche unterstützen, wo gerade eine Ungleichgewicht bestehen könnte und wie man diesem entgegenwirken kann. Wichtig ist also, die psychischen Grundbedürfnisse zu kennen und immer wieder zu überprüfen, wie diese gerade so abgedeckt werden und wo vielleicht noch Luft nach oben wäre.

Zu den vier Grundbedürfnisse nach Grawe gehören:

Das Bedürfnis nach BINDUNG

Wir Menschen sind soziale Wesen und kommen mit dem tiefen Bedürfnis nach Bindung auf die Welt. Da wir als “unfertige“ Säuglinge geboren werden, die Bindung wahrlich zum Überleben brauchen, ist es gerade in den ersten Lebensjahren elementar, dass unser Bedürfnis nach Bindung erfüllt wird. Wenn wir hier beständige und zuverlässige Bindungserfahrungen machen durften, gibt uns das in der Regel ein gesundes Vertrauen in die Beziehungen zu unseren Mitmenschen, so dass wir nicht ständig das Gefühl haben, um Bindung kämpfen zu müssen oder irgendwelche Bedingungen hierfür erfüllen zu müssen. Jeder Mensch hat das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und sozialem Kontakt, doch wie viel Kontakt wir brauchen, damit unser Bedürfnis erfüllt ist, hängt von jedem Einzelnen und den individuellen Bindungserfahrungen ab.

Das Bedürfnis nach KONTROLLE

Auch unser Kontrollbedürfnis besteht bereits ab Tag 0. Weil wir dieses Bedürfnis haben, lernen wir Laufen, Sprechen, gehen wir zur Schule, führen unseren Beruf aus… Es ist also der Antrieb, Neues zu lernen, uns weiterzuentwickeln und uns damit selbst zu verwirklichen. Bei unserem Kontrollbedürfnis geht es um den Handlungsspielraum und die Möglichkeiten, die wir haben. Je mehr Möglichkeiten wir haben, desto mehr können wir selbst entscheiden und das tun, was das Beste für uns ist. Die Kontrolle über etwas zu haben gibt uns also das Gefühl von Sicherheit, nämlich die Sicherheit, das Leben erfolgreich bestreiten zu können.

Das Bedürfnis nach SELBSTWERT

Hier geht es um die eigene Überzeugung, gut genug zu sein oder sich als wertvoll und liebenswürdig wahrzunehmen. Wir wollen uns kompetent fühlen, anerkannt und respektiert werden. Häufig wird als Referenzwert für unseren Selbstwert das Verhalten, das unsere Mitmenschen uns entgegenbringen genutzt oder wir vergleichen uns, um daran unseren eigenen Wert zu messen. Der Vergleich hinkt allerdings, da wir das Verhalten der anderen Personen nur aus unserer eigenen Wahrnehmung sehen und damit auch nur Ausschnitte aus dem Leben der Person.

Das Bedürfnis nach LUST

Hier geht es um alles was uns Spaß macht, wir als angenehm empfinden, aber auch um alles, was wir tun, um Unangenehmes zu vermeiden. Die Wohnung zu putzen z.B. macht uns vielleicht nicht gerade Spaß, aber wir verhindern damit, dass wir in einer schmutzigen Wohnung sitzen in der wir uns höchstwahrscheinlich unwohl fühlen würden. Unsere Hobbies und Interessen dienen im Normalfall der Lustbefriedung.

Fest steht, dass jeder von uns alle diese Bedürfnisse hat. Wie stark diese aber jeweils ausgeprägt sind, also wie viel Bindung oder Kontrolle wir z.B. benötigen, damit das Bedürfnis abgedeckt ist, ist vollkommen individuell. Wenn wir herausfinden wollen, wie stark die jeweiligen Bedürfnisse bei uns ausgeprägt sind, hilft es, sich zu fragen, wie viel Energie wir für das Bedürfnis aufwenden.

  • Was und wie viel investiere ich dafür, um im Kontakt mit meinen Mitmenschen zu sein?
  • Was und wie viel investiere ich dafür, um das Gefühl zu haben, selbst zu entscheiden oder zu bestimmen?
  • Was und wie viel investiere ich dafür, um von anderen geachtet und wertgeschätzt zu werden?
  • Was und wie viel investiere ich dafür, angenehme Erfahrungen zu machen bzw. was, um unangenehme Erfahrungen zu vermeiden?
In der Regel ist es nicht möglich, alle Bedürfnisse zu 100% zu erfüllen, das sollte daher nicht der Anspruch sein. Wichtig ist es vor allem, sich über die eigenen Bedürfnisse bewusst zu sein und zu erkennen, wenn etwas aus dem Gleichgewicht gerät. Damit ist dann die Grundvoraussetzung gegeben, um etwas dagegen zu tun und wieder für mehr Zufriedenheit zu sorgen 🙂